Lolita

Adrian Lyne | 1997 | 137 Min. | EN/de
01.09.2022 | Kulturbetrieb Royal, Bahnhofstrasse 39, 5400 Baden | 20.00 Uhr

Mit «Lolita» eröffnet «royalscandalcinema» am 1. September 2022 die neue Programmsaison. Der skandalträchtige Stoff sorgte immer wieder für Furore: Von Nabokovs Roman (1955) über Stanley Kubricks Erstverfilmung (1962), Adrian Lynes Zweitverfilmung (1997) bis hin zu aktuellen Debatten um das Nabokov-Museum in Petersburg. Zusammen mit Sylvia Sasse, Professorin für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, geht «royalscandalcinema» dem vielschichtigen Werk und seiner Rezeption nach.

Vladimir Nabokov legte 1955 mit «Lolita» einen Roman vor, der auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen historischen Kontexten für Furore sorgte. Der Roman handelt von der pädophilen Liebe des Literaturwissenschaftlers Humbert Humbert zu Dolores Haze. Dolores – von Humbert Lolita genannt – ist zu Beginn ihrer Beziehung gerade zwölf Jahre alt. Die von Nabokov angefragten Verlage in den USA weigerten sich zunächst, den Roman zu veröffentlichen. Nach diversen Absagen wurde «Lolita» schliesslich bei Olympia Press, einem kleinen, auf englischsprachige Erotica spezialisierten Verlag in Frankreich publiziert.

Als Graham Greene in einer von der Sunday Times durchgeführten Umfrage nach den besten drei Büchern des Jahres meinte, er hätte an «Lolita» seine «helle Freude» gehabt, führte das zu einem eigentlichen Literaturskandal. John Gordon, Chefredaktor der schottischen Boulevardzeitung Sunday Express meinte zu Greenes Leseempfehlung: «Zweifellos das dreckigste Buch, das ich je gelesen habe. Reine hemmungslose Pornografie. Seine Hauptfigur ist ein perverser Kerl, der eine Leidenschaft für ‹Nymphetten› hat, wie er sie nennt. […] Gedruckt ist es in Frankreich. Jeder, der es hierzulande verlegte oder verkaufte, würde mit Sicherheit ins Kittchen kommen.»

Als Greene wiederum zu einem satirischen Schlag gegen Gordon ausholte, kam eine mediale Debatte ins Laufen, die auch in anderen Regionen aufgenommen wurde. Wobei sich überall ein ähnliches Muster zeigen sollte: Konservative Kritiker:innen, Politiker:innen und Jurist:innen griffen das Buch harsch an, von liberalen Kritiker:innen und Literaturwissenschaftler:innen wurde es hoch gelobt. In einigen Ländern kam es zu Zensurmassnahmen und Verboten.

Als der Stoff 1962 durch Stanley Kubrick erstmals verfilmt wurde, dauerte die Diskussion um den Roman immer noch an. Damit der Film überhaupt produziert werden konnte, unterwarf sich Kubrick den Vorgaben der «Catholic Legion of Decency». Kubrick meinte Jahre später denn auch, dass er den Film wahrscheinlich kaum gedreht hätte, hätte er zum Voraus realisiert, mit was für Zensurmassnahmen und -drohungen er konfrontiert würde.

35 Jahre später, als Lolita zum zweiten Mal verfilmt wurde, reagierte die Kritik durchaus positiv. Adrian Lynes Film sei näher an Nabokovs Original; Jeremy Irons spiele Humbert nicht als seelenloses Monster, sondern als zutiefst menschliches Wesen, das mit seiner eigenen Psyche zu kämpfen habe. Die New York Times meinte dazu: «Rich beyond what anyone could have expected […] it turns Humbert’s madness into art.» Dahinter steckte jedoch ein aufwändiger Produktionsprozess. Damit der Film zugelassen werden konnte, musste Lyne seinen Film sechs Wochen lange zusammen mit seinem Anwalt zurückstutzen. Just als der Film ins Kino kommen sollte, trat in den USA nämlich ein Bundesgesetz in Kraft, in dem das Zeigen von sexuellen Handlungen mit Kindern verboten wurde – unabhängig von der künstlerischen Form der Darstellung.

Vor sieben Jahren berichteten die Medien wiederholt von Vandalenakten auf das Nabokov-Museum in St. Petersburg. Die Direktorin des Museums erhielt Drohbriefe, in welcher ihr Gottes Zorn als Vergeltung für die Verbreitung von «Nabokovs Pädophilie» angekündigt wurde. Zusammen mit Sylvia Sasse spüren wir dem vielschichtigen Werk und seinen unterschiedlichen Rezeptionsebenen nach. Sasse ist Professorin für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Sie ist Mitbegründerin des Zentrums Künste und Kulturtheorie (ZKK), Herausgeberin der beiden Onlinejournale «Geschichte der Gegenwart» und «Novinki – Neuerscheinungen aus Ost-, Mittel- und Südosteuropa» und Leiterin des SNF-Projekts «Literatur und Kunst vor Gericht». Als sie vom UZH Magazin gefragt wurde, welche drei Bücher sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde, antwortete sie wie Greene (neben «Gier» und «Oblomov») mit «Lolita».